Architektur am Ammersee

Abrissarbeiten in der Seestrasse 37

In der Schondorfer Seestrasse 37 sind die Bagger angerückt um das bestehende Haus abzureißen und Platz für einen Neubau zu machen. Wenn Du das Geschehen rund um dieses Grundstück nicht verfolgt hast, hier eine kurze Zusammenfassung.

2013 kaufte ein Münchner Geschäftsmann dieses Anwesen mit dem Ziel es abzureißen und ein neues Haus (Architekten Bembé Dellinger) zu bauen. Was dann im einzelnen ablief kann ich nicht beurteilen. Der neue Besitzer behauptet, der Entwurf für den Neubau sei mit der Gemeinde besprochen worden und es habe prinzipiell keine Einwände gegeben. Der Bauauschuss aber lehnte die Planung ab, weil sie in einigen Punkten wie Dachform und Geschossigkeit nicht dem hier geltenden Bebauungsplan entspreche.

Das ganze eskalierte dann etwas weil der neue Besitzer darauf beharrte, dass das Gebäude in seiner bestehenden Form als Wohnhaus unbrauchbar sei. An einem Punkt brachte er auch die Idee (als Drohung war es sicher nicht gemeint) ins Spiel, das für ihn unbrauchbare Haus dem Landkreis als Asylbewerberunterkunft zur Verfügung zu stellen. Na, das wäre eine originelle Konstellation geworden: Eine Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft von Millionären, in einer der (lt. Immobilienmakler Engel & Völkers) 15 teuersten Straßen Deutschlands. Da hätten sich ganz unerwartete neue Bekanntschaften ergeben können. Mittlerweile scheint der Besitzer sein hochherziges Angebot zurück genommen zu haben, jedenfalls wird das Haus jetzt abgerissen.

Verschiedene Auffassungen von architektonischer Qualität

Während dieser Diskussion schaltete sich auch der Architekt des bestehenden Hauses, Wolf-Eckart Lüps aus Schondorf, ein. Dem gefiel es verständlicherweise nicht, dass sein Bau als unbrauchbar und abrisswürdig bezeichnet wurde, und er legte in einem Dokument (hier als Pdf) die baulichen Qualitäten aus seiner Sicht dar. Vieles davon ist mir persönlich zu sehr Architektenlyrik, aber an einer Stelle wurde ich sehr aufmerksam. Lüps schreibt:

„Bei den derzeitig geplanten oder bereits errichteten Bauten ist die Tendenz nach der ungetrübten totalen Seesicht festzustellen. Nicht mehr der Ausschnitt mit Blick in die Umgebung bleibt das Verführerische, sondern die größtmöglich Glasfront auf den See macht den Wert aus.“

Die Phantasie hungrig machen, nicht sie sättigen

Ein Haus von Bembé Dellinger in der Schondorfer Seestrasse

Damit wir uns nichr falsch verstehen: Die Architekten Bembé Dellinger haben etliche Häuser gebaut die mir sehr gut gefallen, darunter mein Lieblingshaus in Schondorf, Seestrasse 24 (das aber außer mir anscheinend nur wenigen Schondorfern gefällt).
Trotzdem empfinde auch ich das von Lüps beklagte, fast pornographische alles-sehen-wollen als einen Schwachpunkt vieler Neubauten. Wo bleibt der Ausschnitt, das Verführerische, die Phantasie?
Der von mir sehr bewunderte Alfred Polgar schreibt in einer Novelle über die Begegnung mit einer unbekannten Schönen in der Straßenbahn: „…und die ich jetzt nicht beschreiben werde, denn was hätte der Leser schon davon, wenn er wüßte, wie sie ausgesehen hat. Aufgabe des Erzählers ist es, die Phantasie hungrig zu machen, nicht, sie zu sättigen.
Vielleicht sollten auch Architekten nicht jedem Kundenwunsch nach totaler und unverstellter freier Sicht nachkommen, und stattdessen Blicke in die Umgebung ermöglichen, die die Phantasie hungrig machen.

13 Gedanken zu „Architektur am Ammersee“

  1. Seestrasse 37 war jetzt nicht gerade ein historisches Gebäude (und hat mir persönlich auch nicht wirklich gefallen). Ich würde aber ganz generell Deinen Satz unterschreiben: "es gibt auch eine Verantwortung einer Gemeinschaft , einem Ort usw gegenüber, achtsam mit Bauten umzugehen, die bereits Bestand haben."
    Auch im Sinne von Ökologie, denn in jedes Haus ist ja schon mal eine Menge an Rohstoffen und Energie investiert worden.

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  2. Ich bin da wahrscheinlich furchtbar naiv, aber ich finde auch Architekten könnten die bauträger etwas in Richtung gemeinverträgliches bauen beeinflussen. Wäre interessant wie Bembé & Dellinger eigentlich darüber denken.
    P.S. Bist Du Projekt 007? Sieht schick aus. Ich sollte bei Gelegenheit mal krank werden um mir deine Praxis von innen anzusehen.

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  3. Interessant. Danke.
    Tatsächlich entwickelt sich unsere schöne neue Welt ja zunehmend hemmungslos dahin, dass wer das Geld hat auch uneingeschränkt und unverblümt das Sagen hat.
    Ich weigere mich standhaft naiv und erbittert dies einfach zu konstatieren. Es ist doch Aufgabe der Gemeinwesen – in dem Fall der Kommune – die individuellen Begehrlichkeiten in gemeinverträgliche und im besten Fall sogar gemeinwohlorientierte Bahnen zu lenken.
    Die Kriterien lauten dann naturgemäß nicht ganz: Alles, Exklusiv, Sofort!
    Hab übrigens schon mit Bembé & Dellinger – wie ich finde – sehr gelungen gebaut. In meiner Praxis kann man das genießen 😉
    Allerdings hat die Gemeinde ja nicht über Geschmack und Sehnsuchtsperspektiven zu befinden…

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  4. Hallo Leo, ich verfolge das auch schon in der Presse. Was mir völlig unverständlich ist (mir gefallen auch Bauten von beiden Architekten) ein Grundstück zu kaufen mit einem kompletten Haus, von einem guten (MEINE MEINUNG) Architekten und dann das Haus abreißen zu wollen.

    Nach dem Motto: Geld = Macht.

    Ich verstehe da nicht, warum hat der Investor nicht gleich nur ein Grundstück gekauft? Oder sich mit Lüps od. jemanden anderen zusammengesetzt und nach Lösungen für seine Bedürfnisse gesucht und gleichzeitig das Bestehende zu wahren?
    Er hätte das Haus tatsächlich zur Verfügung stellen können und auf dem Grundstück noch eines bauen…und wenn er es abwertend gemeint hat, dann finde ich diese Aussage ziemlich zynisch und daneben.

    Klar kann er machen was er will, aber ich denke es gibt auch eine Verantwortung einer Gemeinschaft , einem Ort usw gegenüber, achtsam mit Bauten umzugehen, die bereits Bestand haben. Und von solchen Menschen brauchen wir viel viel mehr.

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  5. Renate, tut mir leid, dass bei Dir immer wieder Kommentare verschwinden. Ich schwöre, dass ich ihn nicht gelöscht habe.
    Ich hoffe, dass sich Schondorf baulich nicht nach dem Motto "Wer das Geld hat, hat das sagen" entwickelt. Aber da müssen wir uns als Gemeinde erst mal klar werden was wir wollen und wie Schondorf einmal aussehen soll.

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  6. Keine Frage: mit den Nöten von Flüchtlingen seine Spielchen zu treiben ist ausgesprochen zynisch. Andererseits hätte es vielleicht tatsächlich interessante Begegnungen ermöglicht. Könnte eine idee für ein Filmdrehbuch sein.

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  7. Wieder ein Kommentar verschwunden … also nochmal.

    Dass Herr Lüps sich ärgert, weil eines seiner Werke einfach abgerissen wird, ist verständlich, aber der Bauherr hat bezahlt und darf mit seinem Eigentum machen, was er möchte, sofern die Behörden es erlauben. Auch wenn der (eitle) Architekt sich schwarz ärgert.
    Das mit der Aysl-Drohung hat wohl niemand ernst genommen.
    Und wenn ich für viel Geld in der teuersten Straße Bayerns (war mir auch bekannt) ein Haus baue, dann würde ich auch gern uneingeschränkten Seeblick haben. Ist ja bei dem "Bau-Kasten", der dir so gut gefällt und mir überhaupt nicht (quadratisch, praktisch, hässlich!), auch nicht anders. Lediglich das Bäumchen vorm Haus schränkt den Blick ein.
    Phantasie eines Lesers anzuregen ist meiner Meinung nach was anderes als in einem Haus zu leben und sich vorzustellen, wie die Sicht sein könnte, wenn … Ansonsten gilt: wer das Geld hat, hat das Sagen. Das gilt für Bauherren und gut etablierte Architekten gleichermaßen.

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  8. Interessante Geschichte mit neuen Einsichten für mich: z.B. die "teuersten Straßen" also auch in Schondorf… Erbärmlich die Sache mit dem Spiel mit der Asylbewerberunterkunft. Schande! Oder doch nur "typisch"…?

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