Kunst hält Wache

Die Aktion Kunst hält Wache hätte eigentlich schon Anfang Mai 2020 stattfinden sollen. Da kam aber leider das Coronavirus dazwischen. Jetzt läuft sie vom 18. bis 28. Juni, und ich habe sie mir schon mal angeschaut. Schauplatz der Ausstellung ist die Alte Wache. Das ist das Eingangsgebäude eines ehemaligen Fabrikgeländes im Landsberger Frauenwald. Die Fabrik wurde in den 30er Jahren von den Nazis für die Herstellung von Sprengstoff errichtet, ging allerdings nie in Betrieb (Die Nitrocellulose-Fabrik Landsberg).

75 Jahre Frieden

Der Untertitel der Aktion ist 75 Jahre Frieden im eigenen Land. Sie erinnert an das Kriegsende 1945 und daran, dass wir seither das große Glück haben, in einem friedlichen Land zu leben.
Rund zwei Dutzend Kunstschaffende beteiligen sich an dieser Ausstellung mit Werken zum Thema Krieg und Frieden. Darunter sind auch bekannte Namen vom Ammersee, wie beispielsweise die beiden Mitorganisatoren Harry Sternberg und Axel Wagner. Sie haben die Ausstellung zusammen mit Franz Hartmann konzipiert. Viele erinnern sich wahrscheinlich mit einem Schmunzeln an Hartmanns riesige Wäscheklammern am Ammersee-Skulpturenweg. Für Kunst hält Wache hat er dagegen eine ziemlich schockierende Installation geschaffen – einen Galgen samt funktionierender Falltüre.

Das Gegenteil von gut gemeint

Die Hinrichtungsstätte von Franz Hartmann ist ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Beteiligten an die Themen Frieden, Krieg, Töten, Sterben und Überleben herangehen.
Für die Kunst ist das generell ein schwieriges Thema. Frieden finden alle gut, und Krieg finden alle schlecht. Da fehlt das Spannungsfeld und die Widersprüche, die Kunst normalerweise überhaupt erst relevant machen. In diesem Zusammenhang wird gerne der Dichter Gottfried Benn zitiert: „Kunst ist das Gegenteil von gut gemeint.“

Mein Friedenspinguin

Tatsächlich habe ich in den Ausstellungsräumen etliche der erwartbaren Symbole gefunden, Stahlhelme, Soldatenfiguren, Totenschädel und natürlich auch Friedenstauben. Gleich 75 davon schweben in dem von der Lyrikerin Anna Münkel (https://anna-muenkel.de/) gestaltetem Raum an der Decke. Eine Origami-Taube für jedes Friedensjahr. Daneben liegen Papier und Faltanleitung, um selbst eine weitere Papiertaube hinzuzufügen. Ich habe auch eine gefaltet, aber meine sieht mit ihren Stummelflügeln eher wie ein Friedenspinguin aus.

Friedenstauben von Anna Münkel

Vorladung in der Alten Wache

Neben den offensichtlichen Kriegs- und Friedenssymbolen gibt es auch Arbeiten, die sich dem Thema auf unerwartete Weise nähern. Ich will hier nur ein paar herausgreifen. Da wäre zum einen die Audioinstallation Vorladung von János Fischer (http://www.janos-fischer.de/). Man sitzt alleine in einer Kammer und aus zwei Lautsprechern tönt die Stimme von Fischer: „Wie sind Sie hierhergekommen? Was sind Ihre Absichten? Sagen Sie einfach die Wahrheit. Lassen Sie nichts unter den Tisch fallen.“ Man weiß nicht, ob man als Beschuldigter, als Ankläger, als Denunziant oder als Zeuge hier sitzt. Der Ton ist ruhig und sachlich, kein Geschrei und keine Drohungen. Trotzdem hatte ich schon nach wenigen Minuten ein ungutes Gefühl einer diffusen Bedrohung.
Die Vorladung vermittelt das Gewaltpotential einer Staatsmacht. Eine staatliche Macht über das Individuum, die es überhaupt erst ermöglicht, Menschen in den Krieg zu schicken.

Schwarz-Rot-Gold

Axel Wagner Installation Schwarz-Rot-Gold

Auch die Arbeit von Axel Wagner (https://axelwagner.de/) beschäftigt sich mit Staat und Nation. In einer dreiteiligen Installation nutzt er die Farben der deutschen Flagge in jeweils anderem Kontext. Im Keller geht es dabei um düstere Assoziationen. Eine schwarze Treppe führt in einen Raum, dessen Boden scheinbar mit Blut bedeckt ist. Darüber leuchtet goldener Flitter als vage Verheißung. Im Dachboden dagegen flattert die Deutschlandfahne in einem frischen Wind, der einem den Kopf freiblasen soll. Schließlich hat Wagner das Wort „Gold“ aus 5000 Streichhölzern mit roten Köpfen geformt. Ein Funke genügt, und Rot und Gold verwandeln sich in verkohltes Schwarz.

Wie Patriotismus in Nationalismus und Krieg umschlagen kann, zeigt die Videoinstallation Eine missbrauchte Jugend von Harry Sternberg (http://www.harry-sternberg.de/). Ein junger Mann erzählt die Geschichte seines Großvaters. Von Kindheit an in Schule und Freizeit zur nationalsozialistischen Ideologie erzogen, wird er mit 17 Jahren in den Krieg geschickt. Ein Täter, und doch gleichzeitig ein Opfer.

Andreas Kloker bei Kunst hält Wache
Andreas Kloker: „Gib mir dein Wort“

Wie gesagt, ich kann hier unmöglich alles aufzählen, was es bei Kunst hält Wache zu sehen gibt. Einen sehr schönen Überblick über die Ausstellung bietet dieser Artikel im Kreisbote: https://www.kreisbote.de/lokales/landsberg/geschichten-krieg-frieden-donnerstag-oeffnet-kunst-haelt-wache-landsberger-frauenwald-13799691.html
Die komplette Teilnehmerliste gibt es unter: https://www.kunst-haelt-wache.de/kuenstler-innen/

Der Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Die künstlerischen Positionen zum Thema sind ausgesprochen vielfältig. Hier findet man sicher etwas, das einen zum Nachdenken über 75 Jahre Frieden im eigenen Land bringt. Ich werde in den nächsten zehn Tagen noch öfter in die Alte Wache kommen.

Kunst hält Wache

18. bis 28. Juni 2020
Donnerstag bis Sonntag, jeweils 10:00 bis 22:00 Uhr
Alte Wache, Siegfried-Meister-Strasse
Landsberg am Lech
(Für das Navi gibt man am besten die Celsius-Strasse 19 ein. Das ist die Firma iwis schräg gegenüber der Alten Wache)
https://www.kunst-haelt-wache.de/

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