Unser Geschöpf

Kürzlich hatte ich das Vergnügen, den Maler Werner Kroener in seinem Atelier zu besuchen. Er wohnt in einem zauberhaften alten Haus in Zankenhausen. Vom Atelier aus hat man einen herrlichen Blick auf den Ammersee und die Berge. In diesem idyllischen Arbeitsraum steht das Bild, wegen dem ich gekommen bin. Der „QAnon Schamane“ von Werner Kroener hat für Aufsehen gesorgt und einige Diskussionen ausgelöst. Unter anderem hat auch der Bayerische Rundfunk über das Bild berichtet (https://www.br.de/nachrichten/kultur/bayerischer-kuenstler-malt-den-schamanen-vom-kapitol,SMS4gbw).

Der QAnon Schamane von Werner Kroener

Fast mannshoch, wirkt der QAnon Schamane von Werner Kroener im Original wesentlich eindrucksvoller und bedrohlicher als auf den Abbildungen im Internet. Die Inspiration für das Bild ist ein Pressephoto. Als am 6. Januar Anhänger von Präsident Trump das Kapitol stürmen, ist unter ihnen der selbsternannte „QAnon Shaman“ Jake Angeli. QAnon ist eine Gruppe, die seit rund drei Jahren die Verschwörungstheorie verbreitet, die Welt werde in Wirklichkeit von einer satanischen Gruppe regiert.

Mit Kriegsbemalung, nacktem Oberkörper, Kojotenfell um den Schultern und Bisonhörnern auf dem Kopf inszeniert Angeli sich als urwüchsiger Naturmensch, der den verkommenen Parlamentariern einheizen will. Auf dem Schreibtisch des Vizepräsidenten hinterlässt er eine Nachricht: „Es ist nur eine Frage der Zeit. Die Gerechtigkeit wird kommen.“ Angeli wurde mit seinem Auftritt zu einem Symbolbild des Angriffs auf das amerikanische Parlament.

Bilder und ihre Codes

Werner Kroener beschäftigt sich in seiner Kunst schon lange mit solchen Symbolbildern (http://kroenerkunst.de/). In seiner Werkreihe Time Codes verarbeitet er Bildeindrücke, die wir in unserem kollektiven Gedächtnis gespeichert haben. Eine (derzeit unterbrochene) Ausstellung in Trier setzt sich beispielsweise mit der Bilderwelt der Antike auseinander (http://www.time-codes-echo.de/). Dabei kopiert Kroener die Bilder nicht einfach, sondern interpretiert sie neu. So auch beim QAnon Schamanen.

Werner Kroener vor seinem Bild QAnon Schamane

Das Bild wirkt als sei es rasch und impulsiv gemalt, dabei ist es sorgfältig durchkomponiert. Beispielsweise erklärt mir Kroener seine Farbwahl. Das Purpur des Hintergrundes ist seit jeher eine Farbe der Macht, man denke nur an den Kardinalspurpur. Das kontrastiert Kroener mit dem kräftigen, aggressiven Rot der Figur. Selbst die wie schnell hingeworfen wirkenden Skizzenstriche auf dem Bild sind genau überlegt. Da sie in der Komplementärfarbe Grün gemalt sind, lassen sie das Rot noch kräftiger erscheinen.

Kontroverse Diskussion

In den sozialen Medien wird das Bild durchaus kontrovers diskutiert. Es gibt zum einen die Einstellung, die Kunst sollte sich generell aus der Tagespolitik heraushalten. Zum anderen wird kritisiert, durch die bildnerische Darstellung erhalte hier ein gefährlicher Verrückter noch zusätzliche Aufmerksamkeit. Und auch der Bildtitel sorgt bei einigen für Stirnrunzeln. Diese aggressive Figur habe nichts mit einem tatsächlichen Schamanen zu tun. Hier ist der Maler allerdings unschuldig. Den Namen QAnon Shaman hat sich Angeli selbst gegeben.

Kroener erzählt mir noch einiges zu Bildkomposition und was ihn an der Figur fasziniert. Dabei fällt ein Satz, an den ich später noch denke: „Irgendwie ist er auch unser Geschöpf“. Ich bin da schon wieder in Schondorf zurück und komme zufällig an unserem Rathaus vorbei.

Rathaus Schondorf am Ammersee

Kann dieser selbsternannte Schamane tatsächlich auch unser Geschöpf sein? Bei uns würde doch niemandem einfallen, mit Tierfellen bekleidet und einer Lanze in der Hand in den Sitzungssaal zu stürmen.

Nährboden der Radikalisierung

Der Angriff auf die Demokratie beginnt aber nicht mit der körperlichen Gewalt gegen gewählte Volksvertreter. Diktaturen beginnen auch nicht mit der Errichtung von Gulags und KZs. Dem ging in der Geschichte immer eine Verächtlichmachung der Demokratie voraus. Radikale von links und rechts haben die Parlamente immer als Quatschbuden verspottet, als ein Kasperltheater, das nur von den Machtspielen einer abgehobenen Elite ablenken soll. Daraus entsteht dann der Nährboden für die Radikalisierung.

Ich denke, da können wir uns alle selber an der Nase fassen. Wer hätte noch nicht auf „die da oben“ geschimpft? Das soll nun nicht heißen, dass ich alle politischen Entscheidungen immer gut und richtig finde – egal ob in Brüssel, Berlin, Landsberg oder Schondorf (Triggerwarnung). Etliches davon schmeckt mir auch nicht.

Aber ich werde es mir in Zukunft zweimal überlegen, bevor ich pauschal gegen EU, Bundestag oder Staatsregierung vom Leder ziehe. Ich möchte nicht unfreiwillig mithelfen, solche Geschöpfe wie den QAnon Schamanen heranzuzüchten.

2 Gedanken zu „Unser Geschöpf“

  1. Ich finde das Schamanen-Bild ganz großartig, und es wirkt auf mich durchaus nicht rasch und impulsiv gemalt. So eine gewaltige und beeindruckende Farbexplosion auf die Leinwand zu bringen, ist hohe Kunst. Und hohe Kunst braucht Zeit. Ausnahmen bestätigen die Regel …
    Ich ziehe meinen Hut vor dem Künstler! Was Idee und Ausführung gleichermaßen betrifft.
    PS: Ich bin gespannt, welche Wand es dann einmal bereichern wird.

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