Der Pritzker-Preis und der Ammersee

Das französische Büro Lacaton Vassal Architects (http://lacatonvassal.com/) hat den diesjährigen Pritzker-Preis gewonnen. Das hat auf den ersten Blick nichts mit Schondorf und dem Ammersee zu tun. Es könnte für uns in Zukunft aber eine Bedeutung bekommen. Das zu erklären, ist eine etwas längere Geschichte, ich bitte deshalb um Geduld.

Der Nobelpreis für Architektur

Der Pritzker Architecture Prize ist so etwas wie der Nobelpreis für Architektur. Wer den gewinnt, hat es in der Bauwelt zur Legende gebracht. Fast alle der bisher Ausgezeichneten sind durch spektakuläre Großbauten berühmt geworden. Beispiele dafür sind das Olympiastadion in Peking von Herzog & de Meuron, oder das Guggenheim-Museum Bilbao von Frank Gehry. Bei den diesjährigen Preisträgern Lacaton Vassal ist das anders. Sie bauen keine selbstverliebten Design-Ikonen. Sie machen generell wenig Neubauten, lieber renovieren und erweitern sie bestehende Gebäude.

Jean Philippe Vassal und Anne Lacaton
Jean Philippe Vassal und Anne Lacaton

Lacaton Vassal Architects

Prägend war für Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal ihre Arbeit in Niamey, der Hauptstadt des Niger. Im Human Development Index nimmt Niger Platz 189 ein – von 189 untersuchten Ländern (http://hdr.undp.org/en/2020-report). Hier bauten sie ihr erstes gemeinsames Projekt, eine Strohhütte, natürlich mit Material aus der Umgebung. Hier lernte das Architektenpaar, sorgsam mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen.

Gegen die Verschwendung

Diese Erfahrung nahmen sie mit zurück nach Europa, und arbeiten seither nach der Maxime, niemals etwas abzureißen. Anne Lacaton: „Abriss ist die einfachste und schnellste Lösung. Es ist in mehrfacher Hinsicht Verschwendung – von Energie, von Material, von Tradition. Im Übrigen hat er schädliche gesellschaftliche Auswirkungen.“

Lacaton Vassal Entwurf Saint Nazaire
Photo © Lacaton & Vassal Architects

Das gilt auch und gerade für Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, die sonst gerne als die Schmuddelkinder der Architektur betrachtet werden. Anstatt sie abzureißen, transformieren Lacaton Vassal behutsam die bestehende Substanz. Großzügige Balkone und Wintergärten vergrößern die Wohnfläche. Außerdem senken sie als Klimafassade den Energieverbrauch. Mehr Tageslicht, flexible Grundrisse, Gemeinschaftsräume und Begegnungsflächen geben den geschmähten Plattenbauten eine ganz neue Wohnqualität.

Die Graue Energie

Aktuell will man mit immer höheren Dämmwerten und allerlei technischem Smart Home Schnickschnack Häuser umweltverträglicher machen. Völlig ausgeblendet wird dabei die Energiebilanz über den gesamten Lebenszyklus eines Hauses, die „Graue Energie“, die in bestehenden Bauten steckt.

Die Idee, diese Graue Energie zu berücksichtigen, ist nicht neu. Lange wurde sie aber als ökologische Spinnerei belächelt. Mit der Auszeichnung für Lacaton Vassal ist das schonende Bauen in der Architekturwelt salonfähig geworden. Sehr wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren diese Signalwirkung bei vielen Bauprojekten spüren.

Abriss oder Sanierung

Bahnhof Schondorf am Ammersee

Und damit sind wir nun endlich am Ammersee. Auch in Schondorf haben wir Gebäude, bei denen wir uns zwischen Abriss und Sanierung entscheiden müssen. Man denke beispielsweise an die Güterhalle am Bahnhof (Da lässt sich was machen).

Ein anderes Ensemble, bei dem diese Frage früher oder später entschieden werden muss, ist die Seebergsiedlung. Auch hier wird schon seit Jahren darüber diskutiert, ob sich eine Sanierung lohnt, oder ob man die Häuschen aus der Nachkriegszeit abreißen sollte. Was ist ökonomisch und ökologisch die bessere Lösung?

Seebergsiedlung in Schondorf am Ammersee

Hier kommt noch eine zweite Besonderheit der Arbeit von Lacaton Vassal ins Spiel: Sie sprechen mit den Menschen, die in den Häusern leben. Dabei stellen Sie immer wieder fest, dass diese ihre Wohngebiete oft ganz anders beurteilen als die Fachleute. Was aus Sicht von Architektur und Stadtplanung ein Schandfleck ist, ist für die Menschen ihre Heimat. Es geht also nicht nur um den Erhalt von Bausubstanz, sondern auch um den Erhalt von Beziehungen, Wegen, Nachbarschaft und sozialer Struktur. Auch das ist ein Aspekt, den man bei Wohngebieten wie der Schondorfer Seebergsiedlung im Auge behalten sollte.

Mit dem Pritzker-Preis für Lacaton Vassal ist diese behutsame Art des Erhaltens und der Transformation in der Architektur plötzlich modern geworden. Die Auswirkungen davon spüren wir hoffentlich auch am Ammersee

4 Gedanken zu „Der Pritzker-Preis und der Ammersee“

  1. Leser haben mich in diesem Zusammenhang auf zwei weitere interessante Architekten aufmerksam gemacht. Der eine ist Muck Petzet, der wohl schon einmal im Landheim Schondorf einen Vortrag über seine Arbeit gehalten hat. Hier ist ein Interview mit ihm auf der Architekturbiennale Venedig, wo er den deutschen Pavillon unter das Motto „Reduce Reuse Recycle“ stellte: https://youtu.be/tlIze3dx2Qs
    Zum anderen ist da der amerikanische Architekt und Mathematiker Christopher Alexander. Auf YouTube gibt es einen Ausschnitt aus einem (englischen) Dokumentarfilm über seine Arbeit: https://youtu.be/bDbnNF20eKY

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  2. Schöner Artikel Leo.
    Ich erinnere mich auch an das Stellwerk Dießen. Das wollte die Bahn mir zunächst vermieten, was mich sehr gefreut hat, weil ich dringend ein Atelier gesucht habe. Dann hieß es plötzlich, nein, sie vermieten es nicht, die Bahn überlegt den Abriss. Ich hakte immer wieder nach, warum abreißen? verkaufen ist besser, sagte ich ihnen…Nach einige Monaten kam das Angebot des Kaufes. Ich habe damals mit dem Immobilienmakler gesprochen, er hat mit durch die Blume gesagt, dass Abriss ja viel teurer sei als Verkauf. Sie dachten wohl, sie wurden für das graue Ding nichts bekommen, von wegen. Sie haben ein gutes Geschäft gemacht und es war mein Glück, dass die Bahn „zu geizig war“, es abzureißen. ( Wenn an den Gleisen gearbeitet wird, müssen die Zugstrecken für die Tage gesperrt werden…und das kostet richtig viel).

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  3. Lieber Leo,

    Dein Text spricht mir aus dem Herzen. Dass wir die Güterhalle erhalten müssen fordert bereits der Denkmalschutz. Es ist eine Schande das wir als Gemeinde ein Denkmal dem Verfall preisgeben. Nicht einmal die teilweise offenen Dachteile werden geschlossen. Ein Privatmann hätte längt massive Probleme mit den Behörden. Wo bleibt der Schondorfer Shitstorm und wo bleiben Denkmalschutz und andere Behörden die Schondorf zwingen, sich an die Gesetze zu halten?

    In der Seebergsiedlung hatte ich schon zu Bürgermeister Wittmacks Zeiten mit den Bewohnern gesprochen und ich kann Deine Aussagen nur bestätigen. Die Bewohner wollten in großer Mehrheit ihre Wohnungen behalten. Sie wollten nur die massisten Probleme beseitigt haben. Zum Beispiel die Löcher in den Fenster durch die es im Winter hereinzieht und durch die man die Finger hinausstrecken kann. Seinerzeit war dort ein wirklich wunderbares urbanes Leben in den großen Gartenbereichen. Wir sollten die Siedlung nur reparieren. Sobald die Gemeinde an Grundsanierung denkt, wird alles riiiichtig kompliziert! Dann gelten die ganzen Anfoderungen wie Brandschutz und tausend andere Vorschriften. Man könnte noch nicht einmal die hölzernen Treppenhäuser belassen. Vermutlich kann man gar keine Treppe mehr einbauen weil aus Sicherheitsgründen Stufentiefe, Stufenhöhe, Wenderadius und und und, nicht mehr in Din-konformer Art und Weise hergestellt werden können (ist nur eine Vermutung die auf der Lebenserfahrung eines Bauherren beruht!). Also: Lasst uns die wirklich kaputten Sachen richten. Löcher in den alten fFenstern stopfen und ein paar andere Sachen machen. Auch wenn das eine oder andere Kastenfesnster neu geschreinert oder ausgebessert werden muss, ist das aus ökölogischer und wirtschaftlicher Sicht die beste Alternative. Neubau produziert Abfall, kostet Geld und beseitigt die günstigsten Wohnungen die Schondorfer Bürger*innen mieten können. Und wir müssen die Bewohner*innen nicht zum Sozialamt schicken damit sie ihre neue Wohnung überhaupt bezahlen können.

    Nach Erich Kästner könnte man fragen: „Herr Schraml, wo bleibt das Positive?
    Und ich kann nur – wie er – antworten: „Ich weiß auch nicht wo das bleibt!“
    Dabei könnte es so einfach sein.

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