Antonin Artaud trifft Weißes Rössl

Aktuell läuft in Schondorf die Produktion Das Meditier des Theaterkollektivs ELLE (http://ellekollektiv.de/). Es ist der dritte Teil ihrer Trilogie Die schlafende Vernunft. Eigentlich hätte er bereits letztes Jahr auf die (See-)Bühne gebracht werden sollen. Das hat aber coronabedingt nicht geklappt. Stattdessen wurde kurzerhand Der Prolog eingeschoben, eine Art Vorspiel zum Meditier (Prolog statt Meditier).

Nun also Das Meditier. Die Aufführung des ELLE Kollektivs tut genau das, was ich mir von einem gelungenem Theaterabend erwarte: Sie lässt mich etwas verwirrt, mit vielen Gedanken und starken Bildern im Kopf zurück.

ELLE Kollektiv: Das Meditier

Theater der Grausamkeit

Wer sich ein bisschen mit der Geschichte des Theaters beschäftigt, kommt bei den Inszenierungen des ELLE Kollektivs schnell zu den Prinzipien, die Antonin Artaud für sein Théâtre de la cruauté formuliert hat. Viele der Ideen seines Theater der Grausamkeit finden sich auch im Meditier. Da ist beispielsweise die Konzentration auf Kostüme, Laute und Gesten, die oft bedeutsamer sind, als der gesprochene Text. Wobei es gar keinen durchgängigen Text gibt, der eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Stattdessen gibt es – wie es Artaud gefordert hat – einzelne Textelemente, die man sich selbst zu einer Erzählung zusammensetzen kann.

Schließlich verwirklicht Das Meditier auch eine der zentralen Ideen Artauds, nämlich die Verschmelzung von Bühne und Zuschauerraum. Wie schon in den vorangegangenen Produktionen Erleuchthund und Blondierte Stierin (Die schlaflose Vernunft), gondelt auch dieses Mal das Publikum von Station zu Station durch das Geschehen.

Opérette de la cruauté

„Gondeln“ passt tatsächlich, denn die einzelnen Stationen sind nicht nur am Seeufer, sondern auch draußen auf dem Ammersee. Zu diesen fährt man – wenn man sich für diesen Weg entscheidet – im Tretboot. Das gibt dem ganzen eine Leichtigkeit, die man üblicherweise nicht mit Artauds eher düsteren Konzepten verbindet. Die entspannte Seestimmung, der rasante Witz und die musikalischen Einlagen lassen mich spontan an Im weißen Rössl denken. Das Meditier ist für mich nicht ein Theater der Grausamkeit, sondern eher eine Opérette de la cruauté, und das meine ich als Kompliment.

ELLE Kollektiv Tassilo Kulturpreis 2021

Eine Geschichte im klassischen Sinn wird in der Aufführung nicht erzählt. Den Rahmen kennen wir aus dem letztjährigen Prolog (It’s In The Water, Baby). Dort war das Meditier eine der drei Gestalten, die ein mysteriöses, graues Etwas im Ammersee versenkten. Jetzt geht es darum, was das zu bedeuten hat, um die Wahrheitssuche. Bei dieser Suche stößt man auf Wasser und Strudel, Wellen und Schwingungen, Chaostheorie und Quantenmechanik.

Auch Schrödingers Katze ist mit dabei, denn durch die Gleichzeitigkeit der einzelnen Stationen entdeckt man im Lauf des Abends nur den Teil, den man gerade sieht. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass man hinterher nicht unbedingt schlauer ist. Man geht nach dem Stück vielleicht etwas verwirrt, aber durchaus fröhlich nach Hause.

Ein dritter Teil

Auf dem Plakat wird das Meditier nicht als der dritte Teil angekündigt, sondern als ein dritter Teil. Es bleibt also offen, ob die Trilogie noch mit weiteren Inszenierungen erweitert wird. Ich würde es mir sehr wünschen, dass das passiert.

Andererseits sehe ich schon, dass das ELLE Kollektiv dem kleinen Rahmen des Ammersees langsam entwächst. Die Produktionen sind im Lauf der Jahre wirklich sehr professionell geworden. Berliner Theatertreffen, Festival d’Avignon und Edinburgh Fringe winken vielleicht schon. Trotzdem wäre es natürlich schön, wenn das ELLE Kollektiv Schondorf verbunden bleibt.

Das Meditier

6./7., 12. – 14. und 19. – 21. August 2021, jeweils 20:00 Uhr
Weingartenweg 2, Schondorf am Ammersee
Eintritt € 25
Reservierung unter 0157 51581240
http://ellekollektiv.de

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