Ich bin ein großer Bewunderer der Arbeiten des Schondorfer Künstlers Andreas Kloker. Sie haben mich in den Bann gezogen, seit ich zum ersten Mal seine Elementarzeichnungen gesehen habe. Darum habe ich mich sehr gefreut, dass er uns letzten Sonntag zu seiner Performance Wanderworte eingeladen hat.
Üblicherweise setzen Kunstschaffende ihren Ehrgeiz daran, Werke von Dauer zu schaffen. Bilder und Skulpturen sollen über Jahrhunderte in Museen bewundert werden. Bei den gerade schwer angesagten NFTs soll gar das Werk samt aller Weiterverkäufe potenziell für immer per Blockchain im Internet gespeichert bleiben.
Bei Andreas Kloker ist es gerade anders herum. Ob er nun mit Wasser auf einer Schiefertafel zeichnet oder einen Raum mit Worten ausmalt: Das Kunstwerk ist nur im Augenblick des Entstehens und nur für die Anwesenden erlebbar. So war das auch am Sonntag bei den Wanderworten.
Wanderworte in der Eichenallee
Hintergrund dafür war das 250-jährige Jubiläum der Eichenallee bei Delling. 1770 ließ Graf Anton zu Toerring den Weg zwischen Schloss Seefeld und dem Gut Delling mit rund 700 Eichen bepflanzen. Dieses Jubiläum wurde in Seefeld groß gefeiert, und Kloker ließ sich dazu eine Aktion einfallen, die prinzipiell aus zwei Elementen besteht.
Eine der Eichen in der Allee hatte aus Sicherheitsgründen gefällt werden müssen. Andreas Kloker fertigte aus dem Holz dieses Baumes 85 einfache, vierbeinige Hocker. Diese Sitzgelegenheiten wurden nun im Abstand von etwa zehn Metern entlang der Allee aufgestellt. Viele Freunde des Künstlers waren gekommen, besetzten die einzelnen Positionen und bildeten so eine Art menschliche Telegrafenleitung.
Baumgedanken als Stille Post
Jetzt sprach Kloker am einen Ende seine Baumgedanken, die Station für Station entlang des Weges weitergesagt wurden. Die Worte wanderten durch die Allee, sie wurden zu Wanderworten. Das Ganze funktionierte also nach dem Prinzip der Stillen Post, das wir alle noch aus Kindertagen kennen. In diesem Fall war es aber keine Stille, sondern eine recht Laute Post.
Die Gemeinde Seefeld beging das Jubiläum der Eichenallee mit einem großen Fest, mit Bierzelt, Blasmusik, Kutschfahrten und Bratwurstständen. Die gesamte Einwohnerschaft schien auf dem Weg unterwegs zu sein, und entsprechend hoch war der Geräuschpegel. Oft brauchte es mehrere Anläufe, um den gerade wandernden Satz von einem Hocker zum nächsten weiterzusagen. Die gut gemeinten Interpretationshilfen zahlreicher Umstehender machten es auch nicht einfacher.
Trotz allem verbreiteten die Wanderworte eine magische Stimmung in der Allee. So wie alle Bäume durch feinstes Wurzelwerk miteinander verbunden sind, so entstand hier eine Verbindung zwischen den Menschen entlang des Weges. Da jeder Satz seine Zeit brauchte, um durch die Allee zu wandern, hatte man die Muße, um über die Worte, die Baumgedanken nachzusinnen. Nach einer gewissen Zeit eroberten die wandernden Worte unsere Gehirne, und der Lärm der Umstehenden wurde zu einem bloßen Hintergrundrauschen.
Wie haben die mächtigen Eichen diese 250 Jahre und ihr eigenes Wachstum erlebt? Wie betrachten sie uns Menschen, von denen sie viele Generationen kommen und gehen gesehen haben? Erinnern sich die Eichen an die eilig Laufenden, schwer Beladenen oder verliebt Flanierenden, die unter ihren Ästen gegangen sind?
Der Eichenhocker
Es war eines dieser Erlebnisse, das man gerne festhalten möchte. Ein wenig ist das sogar möglich, denn im Gegensatz zu Klokers anderen Performances, gibt es diesmal handfeste Erinnerungen an das Ereignis.
Wie gesagt, wurden für die Wanderworte 85 Hocker aus Eichenholz geschnitzt. Es sind ganz rudimentäre, vierbeinige Sitzmöbel. Der einzige Schmuck ist die eingebrannte Jahreszahl MDCCX, das Geburtsjahr des Baumes. Dazu gibt es auch ein dendrologisches Zertifikat, dass das Jahr 1740. bestätigt. (Wieder etwas gelernt: Dendrologie ist die Lehre von den Bäumen und Gehölzen)
Einige dieser für die Wanderworte verwendeten Stücke sind noch verfügbar. Wer gerne eines hätte, wendet sich an Andreas Kloker unter https://andreaskloker.de/.
Aktualisierung 20. 12. 2021: Inzwischen gibt es ein Video der Performance Wanderworte auf YouTube: https://youtu.be/awN1iZcCdH8