Ich weiß, wer mein treuester Leser ist. Aufmerksam liest er jedes einzelne Wort in jedem Beitrag, folgt allen Links die ich setze, und sieht sich meine Photos ganz genau an. Er beobachtet sorgfältig, wann ich etwas Neues veröffentliche, sieht sich die Kommentare an, und wer, wann, wo einen Beitrag von mir teilt. Dieser treue Leser ist Facebook.
Wie gut kennt mich Facebook?
Ich kann deshalb annehmen, dass mich Facebook inzwischen ziemlich gut kennt. Das ist ja auch das Ziel, meine Vorlieben genau zu studieren, um mir dann punktgenau die richtigen Werbeanzeigen vor die Nase zu setzen. Schließlich lebt das Unternehmen von den Werbeeinnahmen, und je besser die Werbung passt, desto besser für Facebook.
Angeblich können die schlauen Algorithmen der Firma ja wahre Wunderdinge vollbringen. Bei der Entscheidung um den Brexit oder die amerikanische Präsidentenwahl sollen die sozialen Netze einen massiven Einfluss genommen haben. Weil sie ihre Nutzer so genau kennen, konnten sie jeden einzelnen mit der richtigen Botschaft ansprechen, und in die gewünschte Richtung manipulieren. So behauptet es zumindest der Big Data Experte Michal Kosinski von der Firma Cambridge Analytica (Das Magazin, Dez. 2016), auch wenn es an dieser Darstellung inzwischen Zweifel gibt (Die Zeit, März 2017)
Wie gut passen die Anzeigen
Jetzt wollte ich einmal herausfinden, wie gut mich Facebook wirklich kennt. Dazu habe ich mir einige Wochen bewusst die Werbung angeschaut, die mir dort als „empfohlener Beitrag“ oder „geponsort“ präsentiert wird.
Ich habe versucht, die einzelnen Anzeigen möglichst objektiv danach zu bewerten, ob sie für mich relevant sind. Dementsprechend habe ich sie mit Schulnoten bewertet:
1. Sehr Gut. Werbung für ein Produkt, nach dem ich nicht gesucht habe, dass mich aber trotzdem interessiert. Ein Beispiel dafür sind die sehr schicken Fahrradtaschen der Firma Zimmer, von denen ich noch nie vorher gehört hatte. Hier hat Facebook seine Hausaufgaben gemacht und aus meinem Verhalten Angebote entdeckt, die für mich relevant sind.
2. Gut. Mit Gut habe ich Anzeigen bewertet, wenn ich mich woanders schon über ähnliche Produkte informiert habe. Da wurden meine Likes und mein Surfverhalten offensichtlich richtig ausgewertet. Beispielsweise habe ich mir einen neuen Rasenmäher angeschafft, und mich davor natürlich über Tests, Bewertungen und Preise schlau gemacht. Prompt servierte mir Facebook Werbeanzeigen für Bosch Gartengeräte.
3. Mittel. Diese Kategorie sind Werbeanzeigen, die zwar nicht daneben liegen, für die man aber auch keine schlauen Algorithmen braucht. Ich bin ein älterer, weißer Mann, und lebe in einer recht wohlhabenden Gegend. Das macht mich zur Zielgruppe für Uhren, Sportwagen, HiFi-Anlagen und anderes Männerspielzeug. Nicht ganz falsch, aber das geht auch ohne aufwändige Big Data Analysen.
4. Schwach. Das ist Werbung, bei der ich mir zwar denken kann, wie Facebook darauf gekommen ist, die aber trotzdem daneben liegt. Zum Beispiel machen einige meiner Freunde gerne Fernreisen. Deshalb denkt Facebook anscheinend, ich möchte auch nach Bali, Namibia oder Rio fliegen. Will ich aber nicht.
5. Ungenügend. Hier hatten die angeblich genialen Facebook-Algorithmen wohl einen Schluckauf. Was bitte, soll ich mit einem Onlinekurs für Möbelverkäufer anfangen? Wozu brauche ich ein Gastronomie-Kassensystem, wenn ich kein Wirtshaus habe? Bei diesen Anzeigen ist mir schleierhaft, warum sie Facebook mir zeigt.
Relevanz von Facebook-Anzeigen |
Der gläserne Nutzer
Das ist nun natürlich keine wissenschaftliche Unteruchung, und die Einteilung ist subjektiv. Die Tendenz dürfte aber schon in etwa passen. Das Ergebnis ist für Facebook eher ernüchternd, für mich ist es beruhigend. Der gläserne Nutzer bin ich anscheinend noch nicht.
Der größte Anteil der Anzeigen (über 30%) wurde offensichtlich nur auf Grund von Alter, Geschlecht und Wohnort platziert. Bei anderer Werbung hat Facebook versucht, auf Grund meines Verhaltens das Richtige für mich zu finden. Dabei lag die Maschinenintelligenz sehr oft falsch (13%) oder völlig falsch (28%). Nur bei ungefähr einem Viertel der Werbeanzeigen haben die Algorithmen meine Interessen richtig erkannt.
Es würde mich interessieren, wie das bei euch ist. Haben die Werbeanzeigen in den sozialen Netzen eine ähnliche Trefferquote?
Ich fand es ein spannendes Experiment. Vom Gefühl her hätte ich nämlich erwartet, dass die Facebook Anzeigen meine Interessen besser treffen.
Dein Treuester Leser bin ich sicher nicht, lieber Leo. Aber diesen Beitrag habe ich mit besonderem Interesse gelesen. Spannend! Tolle Idee und nachdenklich stimmender Inhalt. Selber kann ich zu Deiner Frage nichts beisteuern weil ich schlicht Versuche, die FB Anzeigen als leidiges Übel zu ignorieren.