Wie viele andere auch, nutze ich die Corona-Quarantäne um Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Das sind Themen, an denen ich schon länger herumschreibe, aber nicht die richtigen Worte finde. Dazu gehört auch das Hans Pfitzner Denkmal in Schondorf. Wie soll man mit einem bekannten Künstler umgehen, der gleichzeitig auch eifriger Anhänger der Nazis war? Man kann darüber streiten, ob diese Person in Schondorf mit einem Denkmal und einem Straßennamen geehrt werden soll. Darum geht es hier aber nicht. Mich interessiert mehr, ob ich selbst etwas aus Pfitzners Leben lernen kann.
Der Komponist Hans Pfitzner
Über das Hans Pfitzner Denkmal in der Schondorfer Seeanlage wurde in der Vergangenheit bereits lebhaft diskutiert (siehe Das Vermächtnis großer Namen). Selbst habe ich mich ziemlich intensiv (meine Frau meinte: obsessiv) mit dem Komponisten beschäftigt. Natürlich habe ich mir zuallererst seine Musik angehört. Außerdem habe ich auf der Website der Hans-Pfitzner-Gesellschaft (http://www.pfitzner-gesellschaft.de/) und im Internet recherchiert. Schließlich habe ich auch noch zwei Bücher über ihn gelesen, nämlich Hans Pfitzner von Johann Peter Vogel, und Pfitzner und der Nationalsozialismus von Sabine Busch-Frank.
Bildung bekämpft Terrorismus
Bei Karl Ove Knausgård habe ich neulich eine Überlegung zum Nationalsozialismus gelesen. Der norwegische Schriftsteller spekuliert darüber, ob jemand wie Thomas Mann alleine schon aufgrund seiner Bildung gegen die verführerische Ideologie immun gewesen sei.
Das passt zu einem Satz der pakistanischen Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai: „Mit Waffen bekämpft man Terroristen. Mit Bildung bekämpft man den Terrorismus.“ Wie bei Knausgård steht dahinter der Glaube, Bildung sei eine Art Schutzimpfung gegen extremistische Einflüsse von links und rechts, gegen radikale Ideologien und religiösen Fanatismus.
Ein Kulturmensch
So betrachtet, wäre Pfitzner eigentlich bestens gewappnet gewesen. Er war mit Sicherheit ein gebildeter Mensch, der regen Anteil am Kulturleben seiner Zeit nahm. Hans Pfitzner wurde in Moskau geboren, wuchs in Frankfurt auf, leitete die Straßburger und die Münchner Philharmoniker. Gustav Mahler und Bruno Walther dirigierten Aufführung seiner Werke. Zu seinem Bekanntenkreis gehörten Thomas Mann und Carl Zuckmayer, mit den jüdischen Schriftstellern Arthur Eloesser und Paul Cossmann war er jahrzehntelang befreundet.
Trotzdem hielt ihn seine Bildung und sein kosmopolitischer Umgang nicht davon ab, sich auf die Seite der Nationalsozialisten zu stellen.
Pfitzner Denk-mal
Ich werde mich davor hüten, Pfitzner deswegen zu verurteilen. Ich weiß nicht, und kann es nicht wissen, wie ich mich in den 30er Jahren verhalten hätte. Hätte ich mich vom Glanz dieser neuen Bewegung, von den theatralischen Aufmärschen und dem Heldenkult mitreißen lassen? Möglich.
Das Beispiel Pfitzner führt mir vor Augen, dass auch kluge Menschen nicht gegen radikale Ideologien immun sind. Freude an der Kunst, eine solide Bildung und die Kenntnis anderer Länder reichen nicht unbedingt, um der Verführungskraft simpler Parolen zu widerstehen. Entscheidend sind wohl viel mehr Dinge wie Mitgefühl, Respekt und Anstand. Mindestens genauso wichtig wie die Bildung des Verstandes, ist die Erziehung des Herzens. Noch einmal Knausgård: „Das Herz argumentiert nicht. Das bleibt dem Gehirn überlassen. Und wenn ich etwas über das Leben gelernt habe, dann, dass das Herz alles war und das Gehirn nichts.“
Das sind die Gedanken, die mir manchmal durch den Kopf gehen, wenn ich an dem Hans Pfitzner Denkmal in der Seeanlage vorbeikomme.
Literatur
„Hans Pfitzner“ von Johann Peter Vogel: https://timbooktu-ammersee.de/shop/item/9783254002396/hans-pfitzner-von-johann-peter-vogel-gebundenes-buch
„Pfitzner und der Nationalsozialismus“ von Sabine Busch-Frank: https://timbooktu-ammersee.de/shop/item/9783826048883/hans-pfitzner-und-der-nationalsozialismus-von-sabine-busch-frank-kartoniertes-buch