40 + 15 ist mehr als 15 + 13 + 6. Das ist nicht gerade höhere Mathematik, spukte aber sicher vielen Besuchern der Grünen Wahlkampfveranstaltung im Schondorfer Cafe Forster im Kopf herum. 15% trauen die Meinungsforscher den Grünen bei der heurigen Landtagswahl in Bayern zu. Da aber die SPD bei 13% und die FDP bei 6% herumdümpeln, ist eine Ampelkoalition in weiter Ferne. Die CSU wird laut Umfragen auf etwa 40% kommen. Sie wird sich einen Koalitionspartner suchen müssen, um weiter zu regieren. (Sollte das Ergebnis deutlich unter 40% liegen, wird sich die CSU wahrscheinlich zusätzlich auch einen neuen Parteivorsitzenden oder eine Parteivorsitzende suchen müssen)
Das Netz, die Sicherheit und die Heimat
Schwarz-Grün könnte also eine Option in Bayern werden, und die Grünen scheinen dem Gedanken nicht abgeneigt. Die Wahlkampfveranstaltung am 30. August im Cafe Forster drehte sich nicht um grüne Kernthemen wie Klimawandel, ökologischen Landbau oder regenerative Energie. Statt dessen wurde zum Dialog über „das Netz, die Sicherheit und die Heimat“ eingeladen. Eine Ankündigung, die man gerade so gut auf einem CSU oder FDP Plakat finden könnte.
Weit über 100 Leute waren ins Cafe Forster gekommen, um die grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze zu hören. Mit auf der Bühne stand Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Das Publikum war bunt gemischt. Ich sah einige Gesichter, die ich nicht bei einer Veranstaltung der Grünen erwartet hätte. Dieses Interesse lag sicher teilweise am Promifaktor. Es kommt ja nicht so oft vor, dass eine Spitzenkandidatin und ein bekannter Bundespolitiker in unser beschauliches Dorf am Ammersee kommen. Es zeigt aber auch, dass die Grünen durchaus Wählerinnen und Wähler jenseits der Kernzielgruppe von Veganern in Birkenstock Schlappen ansprechen können.
Routinierter Wahlkampf
Den ersten Teil des Abends spulten Schulze und von Notz eher routiniert herunter. Im Zwiegespräch wurden die Themen abgehakt, die man im Wahlkampf erwartet: Der bayerische Alleingang bei den Grenzkontrollen, die aktuellen Ereignisse in Chemnitz, und etwas Seehofer-Bashing. Das Publikum hörte zu und applaudierte brav (etwas lauter, wenn es eine Spitze gegen Ministerpräsident Söder gab). Lebendiger wurde es im zweiten Teil, als sich Schulze und von Notz den Fragen des Publikums stellten.
Die beiden zeigten sich gut vorbereitet, auch wenn die Fragen natürlich nicht übertrieben kritisch ausfielen. Schondorf hat eine starke grüne Basis. Die Partei stellt bei uns den Bürgermeister und die zweitstärkste Fraktion im Gemeinderat, und erzielte hier bei der letzten Bundestagswahl überdurchschittliche 17% (siehe Schwarz, Gelb, Grün, Rot). Für die Katharina Schulze war die Reise an den Ammersee also kein Ausflug in die Höhle des Löwen, eher ein Besuch im Streichelzoo.
Keine Bußpredigt
Schulze präsentierte sich frisch und optimistisch. Statt einer Bußpredigt im Stil von Anton Hofreiter ging es darum, wie unsere Errungenschaften erhalten werden können. Da merkte ich schon einen Generationsunterschied zur Spitzenkandidatin, die vom Alter her meine Tochter sein könnte. Ich bin noch in einem Europa der Paßkontrollen und des Eisernen Vorhangs aufgewachsen, und Frauen brauchten die Erlaubnis des Ehemanns, wenn sie arbeiten wollten. Für Katharina Schulze sind Reise- und Niederlassungsfreiheit, offene Grenzen und Studium im Ausland der Normalzustand. Gegen eine schleichende Aushöhlung der europäischen Standards zu kämpfen, war ihre zentrale Botschaft an diesem Abend.
Auf Konstantin von Notz bin ich ursprünglich über die Plattform Piqd aufmerksam geworden. Er veröffentlicht dort sehr lesenswerte Artikel über Digitalisierung und Internet: https://www.piqd.de/users/konstantin.von-notz. Man merkte auch bei seinem Auftritt in Schondorf, dass er bei diesem Thema sehr sattelfest ist. Das Netz möchte er demokratischer gestalten, und dazu die Internetgiganten wie Google oder Facebook stärker kontrollieren. Mehr persönliche Freiheit durch einen starken Staat, lautet seine Vision.
Fassbier statt Gemüse-Smoothie
Natürlich wurde auch gegen den politischen Gegner gewettert, schließlich herrscht Wahlkampf. Die Spitzen bezogen sich aber immer auf die Personen von Markus Söder und Horst Seehofer, nicht auf die CSU als Partei. Katharina Schulze will sichtlich die Grünen auch für CSU Wähler wählbar machen. Dazu passte auch die Themenwahl. Ein auseinanderbröckelndes Europa oder die Übermacht der Internetfirmen berührt auch Menschen, die mit Sojaschnitzel und Krötenschutz nicht viel am Hut haben.
Auch beim Getränkeangebot ging man an diesem Abend einen Schritt auf die konservativen Wähler zu. Es gab nicht grüne Smoothies oder Granderwasser, sondern ganz traditionell Freibier vom Fass.