Wissenschaft und Wirtschaft

(Auf Grund einiger Rückmeldungen habe ich diesen Beitrag vom 23. Juli aktualisiert. Die Änderungen sind kursiv hervorgehoben und in [Fußnoten] erklärt.)

„Mückenplage“ ist ja aktuell ein heiß diskutiertes Thema am Ammersee. In diesem Zusammenhang stößt man immer wieder auf den Mückenforscher Dr. Norbert Becker, den wissenschaftlichen Direktor des Vereins KABS. Ich wurde nun auf Gerüchte angesprochen, Dr. Becker habe neben seinen wissenschaftlichen auch wirtschaftliche Interessen am Einsatz des Insektizides Bti [1]. Darum habe ich ein bisschen nachgeforscht, um mehr darüber zu erfahren.

Überzeugungsarbeit für Bti

Das Werk von Valent BioSciences in Osage, USA
© Valent BioSciences Corp.

Dr. Becker setzt bei der Bekämpfung der Stechmücke auf das Bacillus thuringiensis israelensis (Bti). Er ist wissenschaftlicher Leiter der „Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V.“ (KABS). Diesem Verein gehören 97 Gemeinden und Landkreise aus der Region des Oberrheins an. KABS finanziert seine Arbeit aus den Beiträgen der Mitglieder und hat nach eigenen Angaben ein jährliches Budget von etwa 3,5 Millionen Euro.
Auch außerhalb des Gebiets der KABS wirbt Dr. Becker für den Einsatz von Bti. Letztes Jahr nahm der Biologe an einer Podiumsdiskussion in Utting teil, denn am Ammersee wird darüber nachgedacht, ob die Gemeinden in einer gemeinsamen Aktion Bti ausstreuen sollen. (http://www.ammerseekurier.de/2016/10/14/bti-einsatz-bald-auch-am-ammersee/).

Wissenschaftler und Kaufmann

Ich war selber leider nicht dort, und weiß deshalb nicht, wie sich Dr. Becker vorgestellt hat. In dem oben verlinkten Beitrag wird er jedenfalls beschrieben als „Wissenschaftlicher Direktor des Vereins KABS, Professor an der Uni Heidelberg und nach seinen Angaben auch bei der WHO tätig“. Nicht erwähnt wird eine weitere Funktion, nämlich die eines Geschäftsführers als Mitglied der Geschäftsführung[2] der Firma ICYBAK (http://www.icybac.de/contact/contact.htm). ICYBAK produziert für KABS das mit Bti versetzte Eisgranulat, und verstreut es per Hubschrauber über den Mückenbrutgebieten.
Das ist nun schon eine ungewöhnliche Konstellation. Dr. Becker ist gewissermaßen Auftraggeber und Auftragnehmer in Personalunion. Als wissenschaftlicher Leiter von KABS organisiert er das Verstreuen von Bti, was die Firma übernimmt, in der er als Geschäftsführer Mitglied der Geschäftsführung[2] tätig ist.
Die ICYBAK GmbH ist ein 100% Tochterunternehmen der KABS e.V. Gewinne der ICYBAK gehen damit automatisch an den Verein KABS. Die Satzung des Vereins besagt aber, dass „Gewinnerzielung und die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Ziele ausgeschlossen (sind)“. ICYBAK hat dadurch sicher nicht den Druck zur Profitmaximierung wie andere Firmen. [3]

Mückengift aus dem Versandhandel

Auf der vom Gesundheitspolitische Arbeitskreis Landsberg der CSU initiiert Veranstaltung in Utting erklärte Dr. Becker, dass Bti weltweit erfolgreich zur Stechmückenbekämpfung eingesetzt werde, und für Mensch und Tier ungefährlich sei (Kreisbote: https://www.kreisbote.de/lokales/landsberg/podiumsdiskussion-parteiuebergreifende-solidargemeinschaft-gefordert-6825419.html)
Diese Überzeugungsarbeit des Wissenschaftlers erreicht natürlich nicht nur die Politiker. Wenn er bei öffentlichen Veranstaltungen Bti als „das beste Mittel weltweit“ lobt, kommt das sicher bei vielen Zuhörern an. Mancher mag dann vielleicht nicht warten, bis die Gemeinde aktiv wird, sondern will dieses Wundermittel (Handelsname: VectoBac) in Eigenregie einsetzen.
Eine Quelle dafür lässt sich schnell finden, nämlich den Onlinehandel der Firma CULINEX Becker. Auch diese Firma wird von Dr. Becker geleitet (Impressum des Onlineshops).

Die Rolle von Valent BioSciences

Der Bti Grundstoff für CULINEX und ICYBAK stammt vom amerikanischen Pestizidhersteller Valent BioSciences. Zu diesem Unternehmen scheint Dr. Becker gute Beziehungen zu haben. In einem Bericht der Zeitung Rheinpfalz vom April 2015 erläutert Becker, dass Projekte der KABS Forschungsarbeit „zumindest partiell von Valent mitfinanziert werden“. Valent BioSciences ist auch „Gold-Sponsor“ der „European Mosquito Control Association“ (EMCA), deren Executive Director Becker ist (http://www.emca-online.eu/index.php?id=1). Die EMCA residiert übrigens unter der selben Adresse wie der Verein KABS in Speyer.
Auch bei Veranstaltungen der EMCA referriert Dr. Becker über den Einsatz von Bti. Bei der heurigen Jahreskonferenz im montenegrinischen Badeort Bečići leitete er eine Sitzung über „Floodwater mosquitoes – control strategies in protected areas“ („Überschwemmungsmücken – Bekämpfungsstrategien in Schutzgebieten“, wenn ich das richtig übersetzt habe): http://www.emca-online.eu/assets/PDFs/1_Montenegro_full_program_speakers_1_March.pdf

Ein schmaler Grat

Nun ist es weder ungewöhnlich noch verwerflich, dass Industrieunternehmen und Wissenschaft zusammenarbeiten. Im Gegenteil ist es ja erfreulich, dass ein Pestizidhersteller mit seinen Gewinnen auch die Forschungsarbeit unterstützt. Allerdings ist das ein schmaler Grad. Ab wann leidet die wissenschaftliche Objektivität unter dem Einfluß des Geldgebers? Wie sehr darf ein Forscher seinen wissenschaftlichen Ruf einsetzen, um die Produkte eines bestimmten Unternehmens bekannt zu machen?
An Dr. Becker’s Verbindungen zur Industrie ist rechtlich vermutlich nichts auszusetzen, und an meiner persönlichen Einstellung zum Einsatz von Bti hat sich dadurch nichts geändert (https://schondorf.blogspot.de/2017/01/weniger-ist-mehr.html).
Ich denke aber, er hätte sich selbst einen Gefallen getan, wenn er seine verschiedenen Verbindungen zur Wirtschaft klarer dargelegt hätte. Das hätte wilde Spekulationen um seine Person verhindert.

 

Anmerkungen zu den Änderungen vom 25. 7.

[1] Ich wurde darauf angesprochen, dass Bti kein Insektizid, sondern ein Biozid sei. Beides ist richtig. Die EU Verordnung 528/2012 definiert Biozide als Wirkstoffe, die auf andere Art als physikalische Einwirkung Schadorganismen zerstören oder unschädlich machen. 
(Genaue Definition auf der Seite des Umweltbundesamtes: http://www.biozid.info/deutsch/biozidprodukte/)
 Diese Stoffe sind je nach ihrer Wirkung in Gruppen unterteilt, und dazu gehören (Hauptgruppe 3, Produktart 18) Insektizide. Bti ist also von der Art her ein Biozid, von der Wirkung ein Insektizid.
[2] Ich wurde darauf hingewiesen, dass Dr. Becker bei ICYBAK nicht den Titel eines Geschäftsführers trägt. Er wird auf der Kontaktseite der Firma aber zusammen mit Dr. Paul Schädler und Jochen Gubener unter „Geschäftsführung“ angegeben. 
http://www.icybac.de/contact/contact.htm
[3] Gewinne der ICYBAK GmbH gehen an den Verein KABS. Die Satzung von KABS sagt in §2 Absatz 3: „Eine Gewinnerzielung und die Verfolgung eigener wirtschaftlicher Ziele sind ausgeschlossen.“ http://www.kabsev.de/1/1_2/1_2_1/1_2_1_1/index.php
Ich sehe durchaus das Argument, dass ICYBAK dadurch keinen Druck zur Profitmaximierung hat. Andererseits kenne ich keinen Verein, der sich nicht über etwas mehr Geld in der Kasse freut.

 

4 Gedanken zu „Wissenschaft und Wirtschaft“

  1. Es ist allgemein (?) bekannt, dass es immer weniger Vögel gibt. Und das liegt wohl auch daran, dass es immer weniger Insekten gibt. Die Insekten bekommen keine Nahrung, weil die Wiesen nicht mehr – wie früher – bunt sind, sondern grün. Weil keine Blumen mehr darin wachsen. Das "Unkraut" wird vernichtet.
    Es ist ein Teufelskreis! Auch gibt es immer weniger Hummelarten – aus genau diesem Grund, weil Hummeln ganz bestimmte Blumen bevorzugen. Und wenn es die nicht mehr gibt, gibt es auch keine Hummeln mehr.
    Ich verfolge die Diskussion über Insekten (Mücken) und Vögel in letzter Zeit sehr aufmerksam. Und jeder, der das macht, ist sehr hellhörig und kritisch geworden.
    Und wenn es so weitergeht, hat es sich in der Tat bald ausgekrabbelt. Und daran ist ausschließlich der Mensch schuld. Was für Konsequenzen das für ihn selbst letztlich hat, das werden dann die Generationen nach uns erleben. Und du und ich,lieber Leo, vielleicht auch schon. Zumindest die Anfänge davon.

    Danke, dass du dich immer wieder einsetzt für die kritische Betrachtung menschlicher Verhaltensweisen im allgemeinen und im speziellen sowieso.

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  2. Ein anonymer Leser hat einen sehr interessanten Kommentar hinterlassen, mit einem Interview mit Wolfgang Wägele vom Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn. Es geht darin um die Schwierigkeut festzustellen, wieviele Insektenarten und wieviele Insekten es in Deutschland überhaupt gibt. Leider enthielt der Kommentar das vollstaändige Interview aus der FAZ, was ich aus Gründen des Copyrights hier nicht veröffentlichen möchte. Deshalb hier der Link zum Originaltext der FAZ:
    http://www.faz.net/aktuell/wissen/insektensterben-hat-es-sich-bald-ausgekrabbelt-15111642.html
    Wie gesagt, sehr lesenswert.

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