Eine Leserin dieses Blogs hat mich neulich auf das Thema Ellenbogengesellschaft und Rücksichtnahme angesprochen. Sie beobachte beispielsweise auf dem Parkplatz beim Edeka einen oft rüden Umgangston. Es gehe immer nur ums recht haben – nicht mehr um Rücksichtnahme: „Ist es denn so schwierig etwas freundlich zu sein, zuvorkommend, Rücksicht zu nehmen, und auf seine Umgebung zu achten?“
Hupen, drängeln, schimpfen
Es stimmt schon, ich kann das speziell an den Wochenenden bei uns in der Bahnhofstraße gut beobachten. Autos und Fahrräder drängen sich durch die zugeparkte Straße, jeder hat es eilig. Da werden die Ellenbogen ausgefahren, es wird gedrängelt und gehupt, und oft auch lautstark geschimpft.
Dabei geht es auch anders. Neulich kam ich in den Genuss unerwarteter Rücksichtnahme. Ich wartete am Übergang beim Edeka, um über die Straße zu gehen. Es war einiges los, ich stellte mich schon auf eine längere Wartezeit ein. In dem Moment hielt ein Auto und ließ mich über die Straße. Die Autofahrerin (vielleicht sind Frauen tatsächlich empathischer) ließ mir den Vortritt, obwohl sie auf ihrem Vorfahrtrecht hätte bestehen können. Ich bedankte mich mit einem Winken und ging gut gelaunt weiter.
Wie es der Zufall wollte, hatte ich gleich darauf Gelegenheit, selber etwas Rücksichtnahme zu zeigen. Auf Höhe der Feuerwehr kam mir eine Radfahrerin auf dem Geh- und Radweg entgegen. Sie machte sich daran, anzuhalten und auf die Straße zu wechseln. Ich weiß, dass das immer eine unangenehme Situation ist, wenn man sich mit dem Rad über die Bordsteinkante in den fließenden Verkehr einfädeln muss. Deshalb wich ich mit meinem Hund einen Schritt auf die Wiese beim Feuerwehrhaus aus und ließ die Dame vorbeifahren. Die Frau auf dem Rad hat sich bedankt und hatte danach ein Lächeln im Gesicht.
(Kleiner Einschub an dieser Stelle: Die Rad-Beschilderung am Schondorfer Feuerwehrhaus ist mir nach wie vor schleierhaft. Radfahrende, die von Norden kommen, werden auf den schmalen Fuß- und Radweg an der Greifenbergerstraße geschickt. Man bräuchte das Schild nur zu drehen, um die Fahrräder nach rechts in die viel weniger befahrene Bahnhofstraße zu lotsen, siehe Suchspiel.)
Rücksichtnahme ist ansteckend
Zwei Dinge habe ich aus dieser Situation gelernt: Erstens, dass solche kleinen Gesten keinen Aufwand bedeuten. Ich bin einen Schritt zur Seite gegangen. Ich habe vielleicht zehn Sekunden Zeit verloren. Das hat meinen Tagesablauf ganz sicher nicht durcheinander gebracht.
Zweitens wurde mir klar, dass Rücksichtnahme anscheinend ansteckend ist. Ich war besser gelaunt, als man mir unerwartet den Vortritt ließ, und die Radfahrerin anschließend auch. Darum habe ich einen Vorsatz gefasst. Ich möchte in Zukunft öfter nicht auf meinem Recht bestehen, öfter einmal bewusst nachgeben. Fußgänger über die Straße lassen, auch wenn ich durchfahren könnte, jemandem die Parklücke überlassen oder an der Supermarktkasse einen Schritt zurücktreten. Mir ist schon klar, dass manchmal meine Ungeduld die Oberhand behalten wird, aber der Vorsatz ist immerhin da.
Diese kleinen Gesten werden die Welt nicht grundlegend verändern. Aber vielleicht sind sie ein Beitrag zu dem, was sich meine Leserin gewünscht hat: „Damit die Menschen auch wieder wahrnehmen, wie gut es uns geht und in was für einer fantastischen Welt und Umgebung wir doch leben.“
Lieber Leo – Danke ?? ?. Sehr gut geschrieben. Vielleicht sehen wir uns am Samstagabend beim
Nacht-Mini-Golfen. Wir haben vor mit dabei zu sein. Weil Du darüber geschrieben hast.
lG Annette
Ja, schon seltsam wie sich viele Menschen das Leben selbst schwer machen und sich über Lappalie aufregen können. Traurig, aber manchmal lustig zu beobachten.
Rücksichtnahme – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auch wenn es manchmal schwerfällt, z.B. die mitten auf der Straße nebeneinander hertrödelnden Radfahrer nicht anzuhupen. – Mitunter erlebt man bei Hilfestellungen auch eine Überraschung. Ich wurde einmal in München von einer körperlich behinderten älteren Dame angeschnauzt, weil ich sie beim Einsteigen in die Straßenbahn stützen wollte: ich solle das gefälligst lassen. Vermutlich hätte ich vorher höflich um Erlaubnis bitten sollen. So sind wir Menschen halt.
Ja, das, was in deiner Überschrift steht, wünsche ich mir auch immer wieder. Allerdings begegne ich aber erfreulicherweise oft Menschen, die genau das leben: aufmerksames Miteinander.
Denn wie du schreibst, gibt einem die eigene Freundlichkeit anderen gegenüber auch ein wunderbares Gefühl im eigenen Herzen.
Vor einigen Jahren im Winter, wollte an dem kleinen Übergang zum von dir erwähnten Supermarkt eine alte Dame über die Straße, traute sich aber nicht, das war offensichtlich, denn sie schaute immer wieder ängstlich nach links und rechts.
Die Straßen waren verschneit und eisig … und glatt.
Also ging ich zu der alten Dame, schob meine Hand unter ihren Ellbogen und sagte: „Darf ich Sie über die Straße begleiten?“
Über alle Maßen erstaunt schaute sie mich an und nickte nur.
Ich begleitete die alte Dame dann über die Straße – bis zum Eingang des Supermarktes.
Dort verabschiedete ich mich von ihr und bekam als Dank ein herzliches Lächeln geschenkt.
Das ist Jahre her, aber in meinem Gedächtnis immer noch präsent.
PS: An der wohl ähnlichen Stelle, wo du der Radfahrerin Platz gemacht hast, wäre ich beinahe samt Rad auf die Straße gefallen. Denn ein Autofahrer hatte mich zwar gesehen, hatte aber kein Bedürfnis, anzuhalten. In letzter Sekunde konnte ich noch vom Rad springen …