Experten am Werk: Die Baustelle der Hamburger Elbphilharmonie |
Angeregt durch einen Beitrag des Moosbloggers habe ich mir neulich ein paar Gedanken über Stadtplanung und Bürgerbeteiligung gemacht.
Nun bin ich zufällig im Magazin Hamburg Ahoi auf ein Interview gestoßen, in dem es ebenfalls um dieses Thema geht (Hier ist der Beitrag aus Hamburg Ahoi). Der Architekt Meinhard von Gerkan zieht darin gegen die Idee der Bürgerbeteiligung vom Leder. Gleich auf die Eingangsfrage, ob die Stadt der Zukunft mehr Bürgerbeteiligung brauche, erklärt Gerkan, das sei für ihn eine grauenvolle Vorstellung.
Der allwissende Stadtplaner
Die Gegenseite vertritt in diesem Interview Markus Birzer, der bei umstrittenen Bauprojekten oft als Moderator eingeschaltet wird. Er berichtet aus der Praxis von Beispielen funktionierender Bürgerbeteiligung. Wie man durch die Einbindung der Anwohner zu Lösungen kommt, mit denen alle gut leben können. Gerkan wischt das zur Seite. Dazu brauche er keine Bürgerbeteiligung: „Das weiß ich als Architekt und Stadtplaner doch alles.„
Und natürlich fehlt auch nicht das bekannte Totschlagargument, die Verantwortung für Steuergelder dürfe nicht bei Laien liegen. Das hat schon eine eigene Ironie, so etwas ausgerechnet von Herrn Gerkan zu hören. Sein Büro gmp hat den neuen Berliner Flughafen geplant…
Bürgerbeteiligung ist nicht direkte Demokratie
Der Moderator Birzer stellt in dem Gespräch auch klar: „Bürgerbeteiligung meint nicht direkte Demokratie.“ Es müsse jeder Teilnehmer verstehen, dass seine Wünsche nicht eins zu eins umgesetzt werden können.
Birzer argumentiert auch aus Kostengründen für eine frühzeitige Einbindung der Anwohner.
Wenn es geht, verzichtet man oft auf Bürgerbeteiligung, weil die Planung dann vermeintlich schneller geht. Aber die folgenden Proteste und Klagen ziehen es noch mehr in die Länge.
Bürger als Experten
Ich hatte ja bereits geschrieben, dass ich die Risiken moderner Formen der Bürgerbeteiligung durchaus sehe: Übermäßiger Einfluss von kleinen, lautstarken Gruppen, der Spagat zwischen Datenschutz und Sicherheit vor Manipulationen, etc.
Trotzdem würde ich mir mehr Möglichkeiten der Mitgestaltung wünschen. Für unsere eigene Gemeinde, unseren eigenen Lebensraum sind wir die Experten. Und wir sind auch die, die mit dem Ergebnis am Ende leben müssen.
Oder liege ich da falsch? Sollte Stadtplanung möglichst den Fachleuten, den Architekten und Stadtplanern überlassen werden?
Was wir gerade noch theoretisch diskutiert aben, ist plötzlich Realität. Es gibt eine Online-Plattform zur Bürgerbeteiligung am Ammersee: http://www.mein-ammersee-2020.de/
Au ja, komm doch zur nächsten Sitzung, das bringt sicher Leben in die Bude 🙂
Ich versuche mir die Ratssitzungen anzuhören, wenn es zeitlich möglich ist. Klar juckt es mich auch manchmal etwas zu sagen. Ich sehe aber ein, dass die Sitzungen zu gar keinenm Ende kommen würden, wenn das Publikum auch mitdiskutiert. Interessant finde ich es trotzdem, auch als stummer Zuhörer. Man bekommt doch einen Eindruck, wie sich die einzelnen Gemeinderäte verhalten, wer engagiert ist, wer konstruktive Beiträge macht, wer nur treu der Parteilinie abstimmt…
Hochinteressantes Thema, hochinteressante Ansichten. Da ich mich mit dem Thema Bürgerbeteiligung bislang noch nicht beschäftigt habe, hüte ich mich davor, mich mit meiner Meinung auf diese oder Seite zu schlagen, denke allerdings, dass vermutlich mal wieder der Mittelweg richtig ist. Alles den Politikern und ihren Kofferträgern zu überlassen, halte ich grundsätzlich für nicht richtig. Denn auf diese Weise werden genauso individuelle Interessen vertreten, wie wenn Interessengemeinschaften von Bürgern ihre Schäfchen ins Trockene bringen möchten. "Unabhängige Bürgerbüros" würden da bestimmt sehr hilfreich sein! Als stummer Zuhörer in einer Gemeinderatssitzung zu hocken, stelle ich mich auch nicht "prickelnd" vor, und so wie ich mich kenne, würde ich dann auch den Mund nicht halten können und dauernd mit Zwischenrufen nerven …
Habe ich noch gar nicht so betrachtet, aber es stimmt. Dass es etwas zu trinken gibt, zeigt schon die Einstellung zu den Zuhörern, dass man sie als Gäste betrachtet und nicht als Störenfriede.
Ist bei uns genauso…hat ja auch was komisches daran, da drin zu sitzen und nix einbringen zu können. Ein paarmal war ich in Gemeinderatssitzungen, ist aber nichts für mich…ich kann es alles aus der zeitung entnehmen bzw lese anschließend die Protokolle. Aber eine Bürgerstunde hätte ich auch gerne in Diessen und was zum Trinken…wie bei Euch in Schondorf…da werden Besucher damit willkommen geheißen.
Kultursache, wie man damit umgeht und als was man sich als Gemeinderat begreift….
Die Bürgerstunde ist eine tolle Idee, die sich noch etwas mehr herumsprechen sollte. Bei den letzten Sitzungen waren immer ein, zwei Leute da, die etwas gefragt oder vorgeschlagen haben. Das ist zumindest mal ein Anfang. Generell sind die Ratssitzungen nicht der große Publikumsmagnet. Üblicherweise gibt es so 10-12 Zuhörer, von denen die Hälfte wegen des eigenen Bauantrags gekommen ist. Wie ist das bei euch in Dießen?
Genau… und wichtig sind proffesionelle Vermittler sozusagen "Übersetzer" einerseits der zB Bauvorhaben an die Bevölkerung und andererseits der Bürgerbeteiligungen an die Gemeinden/Städte. Denn wie Du auch sagtes jede Info verliert sich, wenn sie nicht verstanden wird und jede Meinung oder Idee ebenfalls, wenn es keinen Platz gibt sie zu kommunizieren. Und das Ganze in der Planungsphase.
Vielleicht sind unabhängige Bürgerbüros da der richtige Ansatz, denn die Bürgerinteressen müssen auch gebündelt werden, die zwar von den Kommunen od. Städten finanziert werden, aber ein unabhängiges Bindeglied darstellen und von der Politik einzubinden sind..(Du hast natürlich Recht, dass Bürgerbegehren a) oftmals nach der Planungsphase kommt und man dann b) nur mit ja od nein reagieren kann.) Eure Gemeinde hat da aber auch schon einen kleinen Schritt gemacht: vor der Gemeinderatssitzung eine Bürgerstunde eingeführt. Wenn man schon bei den Ratssitzungen nichts sagen kann, dann wenigstens davor…wie kommt das an? Oder ist das Tagesgeschäft so dominant?
Das sagt auch Markus Birzer in dem Ahoi Hamburg Gespräch, das ich im Beitrag verlinkt habe: "Bürgerinformation ist nicht Bürgerbeteiligung. … Bei gut gemachter Bürgerbeteiligung können Menschen Ideen einbringen, Alternativen abwägen und gemeinsame Lösungen finden. Und zwar vor Beginn der Planungen." Da wäre ein erster Schritt, die Baupläne so aufzubereiten, dass auch ich als Laie mir etwas darunter vorstellen kann.
In der Mühlstr. sind die Bürger gut eingebunden gewesen, durch viele Bürgerversammlungen. Was eher ein wenig schwerfällig war, war das Ausmaß der Baumaßnahme und die Gestaltungsmöglichkeit sich als Normalbürger überhaupt vorzustellen, ist halt ein riesiges Projekt. Da wäre zB eine Maßstabsgetreue Abbildung der fertigen Umbaumaßnahme vonnöten gewesen, damit man sich überhaupt was vorstellen kann und die richtigen Fragen stellen kann…also so etwas wie ein bürgerfreundliches Projektmanagement.
Ich gebe Dir Recht, Bürgerentscheide sind eine feine Sache. Sie kommen nur eben immer erst zu einem späten Zeitpunkt im Projektablauf, wenn es nur noch um Ja/Nein oder Variante A/B geht. Ich würde mir wünschen, dass die Bürger schon früher mit eingebunden würden. Beispielsweise bei euch in Dießen der Umbau der Mühlstraße. Es wäre doch schön gewesen, schon während der Planung zu fragen, was sich die Bürger wünschen und welche Ideen sie einbringen könnten.
A. Foresti
Ich bin da zwiegespalten, eine reine Fachleuteentscheidung oder eine reine Bürgerentsscheidung finde ich problematisch wenn es um Stadtplanung geht. Einen Mix daraus…
Ich finde die Erfahrungen der Fachleute sehr wichtig und einiges wird auch im Gemeinderat leider aus dem Bauch heraus entschieden. Präsenz und Mitspracherecht der Fachleute ist manchmal vonnöten, gerade wenn es um Gestaltung geht. Eine Mischung daraus wäre gut, wobei die Bürgerbeteiligung auch Sprecher haben müsste. Für mich aber die beste Bürgerbeteilung ist das Volksbegehren/Bürgerbegehren.
Bei Stadtplanung finde ich Bürgerbeteilungen eher problematisch, weil sich nicht alle Bürger beteiligen, sondern meist nur einige Interessengruppen. Einige Bauten aus der Jahrhundertwende oder auch moderne Bauten – ob sie mit reinen Bürgerbeteiligungen entstanden wären? In der Regel halten, vor allem in Bayern, viele Bürger am Alten fest, sind weniger offen für moderne Ansätze. Ich bin dafür über den Tellerrand zu schauen, für eine Mischung der Baukulturen. Wunderbar finde ich es z.B. in Italien: in der Mitte des Ortes der Brunnen, der Treffpunkt für soziales Leben, die Piazza. Davon haben wir hier viel zu wenig. Die Geschäfte jammern immer gleich, wenn Straßen etwas autofreier gemacht werden sollen; Aber wie wichtig, auch für die Kaufkraft, das soziale Geschehen ist, diese Erfahrungen haben die Fachleute.