Die Bauarbeiten auf dem ehemaligen Prix-Gelände in Schondorf sollen demnächst beginnen (Prix geht an Wüstenrot). Zeit, sich Gedanken zu machen, wie die neu entstehenden Straßen benannt werden sollen. Genau das tat der Schondorfer Gemeinderat in einer Sitzung Anfang Oktober. Die Entscheidung fiel dabei für eine Eleonore-Weindl-Straße und für die Bezeichnung Am Alten Anger.
Frauen auf den Ortsplan
Ursprünglich war geplant gewesen, die Straßen nach früheren Bürgermeistern zu benennen. Aus der Bevölkerung kam dann aber der Vorschlag, auch einmal Frauen im Ortsplan sichtbar zu machen. Bislang sind in Schondorf nämlich nur Männer durch eigene Straßennamen gewürdigt. Als eine mögliche Namenspatronin war die Pädogogin Julie Reisinger im Gespräch. Allerdings ist nach ihr bereits die Grundschule am Landheim Schondorf benannt. Ihr jetzt auch noch eine Straße zu widmen, war der Mehrheit im Gemeinderat etwas zuviel der Ehrung.
Gemeinderat Wolfgang Schraml brachte die letzten Winter verstorbene Susanne Sticker ins Spiel. Mir persönlich hätte das sehr gut gefallen, denn sie war eine Persönlichkeit, die in Schondorf viel bewegt hat. Darum wurde ihr auch heuer posthum das Ehrenzeichen der Gemeinde verliehen. Allerdings war Susanne Sticker eine unangepasste, oft unbequeme Verfechterin ihrer Anliegen. Vielleicht lag es daran, dass sich im Gemeinderat keine Mehrheit dafür fand, sie mit einer Straße zu würdigen.
Eleonore-Weindl-Straße im Prix Gelände
Am Ende setzte sich in der Abstimmung Eleonore Weindl durch. Die 1921 geborene Weindl war ursprünglich Grundschullehrerin. Bei der Suche nach Anregungen für den musischen Unterricht stieß sie auf den Kunsterzieher Hans Herrmann. Der gab damals schon die Zeitschrift Die Gestalt heraus. Herrmann hatte nach dem 1. Weltkrieg die grundlegende Bedeutung des bildnerischen Gestaltens für die Entwicklung von Jugendlichen erforscht, und darauf aufbauend seine kunstpädagogische Lehre entwickelt.
Die Gestalt
Ich habe mir sagen lassen, dass seine Erkenntnisse einen immensen Einfluß auf die Pädagogik seiner Zeit hatten. Von Garmisch bis Flensburg wartete man an fortschrittlichen Schulen damals sehnsüchtig auf die neueste Ausgabe der Gestalt, um Ideen für den Unterricht daraus zu gewinnen.
Eleonore Weindl wurde Herrmanns engste Mitarbeiterin und baute mit ihm zusammen das Gestalt Archiv in Schondorf auf (http://www.gestalt-archiv.de). Wir haben dadurch im Ort eine deutschlandweit einzigartige Sammlung von Gestaltungsarbeiten aus allen Altersstufen und Fortbildungsmaterial für die Kunsterziehung.
Eine Kämpferin für die Muse
Nach dem Tod von Herrmann 1981 führte sie die Arbeit am Archiv fort und organisierte noch bis ins hohe Alter regelmäßige Ausstellungen. 2013 verstarb Eleonore Weindl im Alter von 92 Jahren.
Weindl pflegte aber nicht nur das Vermächtnis von Hans Herrmann, sondern war generell eine „große Kämpferin für die Muse“, wie die Augsburger Allgemeine in einem Nachruf schrieb (https://www.augsburger-allgemeine.de/landsberg/Eine-grosse-Kaempferin-fuer-die-Muse-id26450141.html).
Beispielsweise verfasst sie Herrmanns Biographie und Vortragssammlung Aus Forschung und Lehre. Ihr letztes Buch Zeichnen als roter Faden im kindgemäßen Unterricht erschien 2003 und zeigt, dass die von Herrmann und Weindl entwickelten Ideen zur musischen Erziehung nichts an Aktualität verloren haben.
Am Alten Anger
Ich freue mich, dass sich der Gemeinderat – nach langer und engagierter Diskussion – schließlich dafür entschieden hat, dieser Frau mit der Eleonore-Weindl-Straße in Schondorf ein Denkmal zu setzen.
Die Entscheidung für den zweiten neuen Straßennamen fiel dagegen recht schnell und mit großer Mehrheit. Für den Fuß- und Radweg entlang der Bahngleise einigte sich der Gemeinderat auf die unverfängliche Bezeichnung Am Alten Anger.
Wie schön, dass mein Engagement zum Ziel führte, einen weiblichen Strassennamen in Schondorf zu bekommen. Danke an alle Unterstützer*innen. Wir hatten neben E. Weindl und S. Sticker noch an weitere wichtige Frauen für Schondorf gedacht. So besteht Potenzial für weitere Strassennamen ;o)
Schreiben an den Gemeinderat vom 30.9.2019
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
Straßennamen sind Botschaften in den öffentlichen Raum. Wir orientieren uns an ihnen, wir lesen sie als Anschrift auf dem Briefverkehr, wir hinterlassen sie bei Bestellungen, Rechnungen und anderen Dokumenten. Sie sind in unserem Bewusstsein fest verankert.
Mit der Wahl des Straßennamens setzt die Gemeinde ein Zeichen in den Alltag.
Namen aus Fauna (wie Reiherweg) und Flora (etwa Buchenweg) wie auch Namen mit geografischem Bezug (Kirchenäcker oder Bergstrasse) haben nicht den Anspruch, Aufmerksamkeit zu lenken; sie geben Orientierung.
Hingegen will die Wahl einer Person als Namensgeber*in für eine Straße ein Zeichen setzen und würdigen.
Im Straßenverzeichnis der Gemeinde Schondorf am Ammersee finden sich zur Zeit sieben Straßennamen mit Bezug zu Personen:
Julius Lohmann, Gründer des Landheims
Paul Paede, Maler
Pfitzner, Komponist
Roseweg, Maler
Rudolf Hoferer, Maler
Toni Ruhr, Architekt
Wilhelm Leibl, Maler
Der Vorschlag, die Straßen nach ehemaligen Bürgermeistern zu benennen, setzt ein Zeichen und würdigt das Engagement für das Gemeinwesen, bleibt allerdings wieder auf den Kreis der Männer beschränkt.
Wir finden: Es ist Zeit für einen Frauennamen. Wer die Chronik von Schondorf durchblättert, trifft sie alle, die Franziskas, Marias, Gertruds mit wohlklingenden Familiennamen Schöttle, Mailänder, Schwarz.
Unsere Recherche ergab Folgendes:
Kultur/Sozialer Hintergrund
Julie-Reisinger-Strasse
Eine verdiente Pädagogin, Namensgeberin der Grundschule im Landheim. Sie steht für den hohen Stellenwert von Bildungseinrichtungen in Schondorf. Nichte des Reformpädagogen Georg Kerschensteiner aus München, der Begründer der Reformpädagogik.
Wirtschaftlicher Hintergrund
Klara-Birkner-Strasse
Kolonialwarengeschäft in Oberschondorf. Ein Original, sehr beeindruckend und vielen sicherlich noch heute gut in Erinnerung.
Als Vorbild für Natur und Artenvielfalt
Berta-Holzhauser-Strasse
Leidenschaftliche Gärtnerin mit mehrfachen Auszeichnungen.
Christlicher Hintergrund und Häufigkeit im Namensregister auch für einen weiteren Strassen- und/oder Wegnamen
Maria-Elisabeth-Strasse
Der Weg entlang der Eisenbahnline (Radweg) anstatt an den Gleisen eher Prix 1,2,3…
Wir bitten Sie dies am kommenden Mittwoch, den 2.10. innerhalb Ihrer Abstimmung zu berücksichtigen und bedanken uns für Ihre etwaige Unterstützung.
Mir kam zu Ohren, Susanne Sticker sei „zu jung“ für diese Ehrung (sie ist erst vor einem Jahr gestorben).
Man muss also nicht nur tot sein, um eine Straße zu bekommen, sondern auch noch gut abgehangen?